(Frankreich 1931)
Bisweilen sieht man bekannte Schauspieler in ungewöhnlichen Rollen. Otto Gebühr kennt man eigentlich nur als König Friedrich II. von Preußen, als alten Fritz. Immerhin hat er diesen in 15 Filmen für die UFA zwischen 1920 (Die Tänzerin Barberina) und 1942 (Der große König) so verkörpert, dass die DNVP am Ende der Weimarer Republik sogar mit ihm (erfolglos) Wahlwerbung machte [1]. Bevor er aber beim Film landete, war er von einer Unterbrechung als Kriegsfreiwilliger im ersten Weltkrieg bei der Artillerie am Deutschen Theater zusammen mit Paul Wegener. Und in einer Klassikeradaption ist er hier zusehen. Goethe schrieb diese wohl bekannteste seiner Balladen 1782 und brach da bereits mit Idee der Aufklärung und lies darunter die gotische Gegenströmung einer fast schon romantisch anmutenden Naturdarstellung sichtbar werden. Nicht umsonst fallen die klassischen gothic novels der Schauerromanik wie Udolphos Geheimnisse und Der Mönch in diese Zeit, kurz nach dem Ableben Friedrich des Großen. Die Romantik griff diese Thematik gerne wieder auf, auch wenn Goethe selbst mit der schon in Schuberts bekannter Vertonung deutlich hörbaren Gefühlswelten erst einmal nichts Anfangen konnte. Die französische Filmregisseurin Marie-Louise Iribe nahm sich in ihrem zweiten und letzten Spielfilm der schubertschen Vertonung an und setze diese in passende Bilder, die eine ähnliche Qualität wie die ihres Schwagers Jean Renoir aufweisen. Iribe begann ihre Filmkarriere als Schauspielerin vor der Kamera, man kann sie unter anderem in Jacques Feyder L'Atlantide sehen, ihr erster Film als (Ko-)Regisseurin war 1927 Hara-Kiri.
Hier in diesem Film ist sie als Regisseurin am besten, wenn sie die Visionen des fiebernden Kindes (Raymond Lapon) dem Publikum so verdeutlicht, dass es sich fragt, ob der Erlkönig (Joe Hamman) jetzt vielleicht doch physisch real ist, und nicht, wie der Vater (Otto Gebühr) glaubt, nur ein Fiebertraum. Iribe gibt uns wie im Stummfilm üblich zu Beginn das Gedicht zum Lesen, auch der, der es noch nicht gekannt haben sollte, weiß nach nicht ganz zwei Minuten, wie die Geschichte endet, dennoch wenn der Vater nach einem Pferdewechsel durch ein Moor zu reiten, fängt die Kamera eine Kröte ein, fährt auf ihr Auge zu und in dem wird die Schwärze plötzlich mit dem davon reitendem Vater überblendet. Die hoffnungsvoll beschworene Sicherheit ist durch eine einzige Einstellung zerstört. Aber, die Fee, die in Doppelbelichtung vom Erlkönig[2] mit dem bezirzen des Kindes beauftragt wurde, entpuppt sich in der nächsten Einstellung einfach als ein welkes Blatt, das vom Vater einfach entfernt und auf dem Waldboden entsorgt wird. Am Ende, wenn der Erlkönig sich am Knaben im übertragenem Sinne vergreift, wirkt die Doppelbelichtung wie die Flucht nach Bruchtal aus dem Herrn der Ringe. Mit dem Tod des Kindes endet die traumartige Doppelbelichtung, das rettende Ziel wird nur mit Not erreicht. Von ein paar Stellen ab dem erfolgtem Pferdewechsel ist der Film praktisch stumm, von ein paar Einwürfen wie „Mein Vater“, „Da, der Erlkönig“, und „Sei ruhig“ abgesehen, nur beim Pferdewechsel gibt es exponierende Dialog, in dem das Kind die Geschichte vom Erlkönig mithört. Die Sprachschnipsel wären im Stummfilm kurze Zwischentitel gewesen. Der Film wurde in einer deutschen und einer französischen Fassung gedreht, von der aber anscheinend nur die französische Überlebt hat. In der Literatur geistern Laufzeitangaben von 70 Minuten herum, die gesehene hat aber nur 45 Minuten, wirkt aber von der Tonspur her ungeschnitten.
[1] In der Konsequenz erhielt er nach 1945 erst einmal ein generelles Auftrittsverbot und alle seine Filme als Friedrich der Große wurden von der alliierten Filmzensur verboten und die aus der Zeit des Dritten Reiches wurden teilweise erst Jahrzehnte später für das deutsche Publikum freigegeben.
[2] Der Erlkönig ist bekanntlich nur ein Übersetzungsfehler aus dem Dänischen. In der dortigen Volksage meint man den Elfenkönig. Iribe verwendet in der Bildsprache entsprechend Elfen für die Töchter des Erlkönigs.
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