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  • Streifzüge

Die Feuerzangenbowle

(Deutschland 1944)

Immer im Winter kommt die Zeit, wo sich deutsche Studenten einen Nazipropagandafilm ansehen, mit größtem Vergügen, ohne es zu bemerken. Wir alle kennen die Geschichte, daß dieser Film vom Propagandaministerium verboten werden sollte und nur der Produzent und Hauptdarsteller Heinz Rühman eine Privatvorstellung beim Reichsjägermeister erreichte, die diese angeblich mit Lachen und Schenkelkopfen quitierte, was den Film für den allgemeinen Verleih freigab. So weit, so schön, es bleibt die Frage, warum das Propagandaministerium den Film zurückhalten wollte. Offiziell hieß es, dass die gezeigten Lehrer zu diesem Zeitpunkt als despektierlich gegenüber den an der Front stehenden gezeigt seien sollten. Soweit so gut, hier stoßen zwei Sichtweisen der Lenkung der öffentlichen Meinung aufeinander. In mancher Hinsicht war die Zensur im 3. Reich relativ permissiv, da sie wusste, dass die Praxis nicht den Idealen der Parteilinie entsprach, andere waren sehr restriktiv, bestimmte Themen waren ein einfaches No-Go, was für die Beteiligten auch trotz Publikumserfolgen und hoher Qualität des Outputs auch zu Versetzungen an die Front führen konnte[1]. Im weniger restriktiven Bereich, hingegen hing es an der Tagesform des gerade zuständigen Beamten, etwas wovon auch Rühmann ein Lied singen konnte[2]. Hier landete er im Graubereich, wo sich die einzelnen Führungspersönlichkeiten des 3. Reiches mit ihren Ansichten über den nötigen Eskapismus für das Reichsfolk (sic!) widersprachen und nur die klassische Führungsmethode des 3. Reiches zum Tragen kam - wer als letzter das Ohr des Führers hatte, hatte recht, wenn denn wirklich eine endgültige Entscheidung nötig war. Sehen wir uns nun einfach mal die gezeigten Autoritäten an. Eigentlich alle sind obrigkeitshörig, die Handlung spielt in der Provinz des Kaiserreichs, nur die Jugend lehnt sich gegen die alten, ihnen überkommen vorkommenden Autoritäten auf, die einzige von ihnen akzeptierte Autorität ist ein junger Lehrer, der vom Habitus auch Jungscharführer in der HJ seien könnte. Und das ist wichtig, mit so einer Figur kann man auch Systemkritik verkaufen. Auch wenn es nur ein winziger Schluck ist.


[1] Mir ist aus persönlichem Gesprächen mit der Witwe des Drehbuchautorens Willy Clever bekannt, dass dieser nach der Vorlage eines Drehbuches für einen Film mit Emil Jannings zu den Einmann-Ubooten, einem Himmelfahrtskommando, versetzt wurde.

[2] Rühmann spielte auch in er UFA-Komödie Der Gasmann von 1941, die eine Szene enthielt, wo er als Gasmann einer älteren Dame die Gasrechnung präsentiert. Diese ist mit der geforderten Summe absolut nicht einverstanden und erwidert, dass sie sich bei ihrem Bruder beschweren werde, denn der sei ja in der NSDAP. Worauf Rühmanns Charakter nur den rechten Arm hob und antwortete "Na denn, Heil Hitler." Sämmtliche Ortgruppenleiter beschwerten sich ob dieser Kritik an ihrem implizierten persönlichen Verhalten beim Propagandaministerium, doch Goebbels entschied: "Diese Szene bleibt drinnen." Erst im Rahmen der Entnazifizierung nach 1945, als die Kinos wieder Material aus eigener Produktion brauchten, bekamen sie ihre Wunschfassung. Heute gäbe es, wenn die Orginalfassung gezeigt werden würde, einen Shitstorm wegen Nazipropaganda.

Ein zeitgenössisches Szenenphoto mit orginal Freigabestempel. Ich bitte den Pleitegeier zu entschuldigen.
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