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Streifzüge

Eine Dame verschwindet

(UK 1938)

Wie kann man balkanreisende Engländer stören? Man kann sie beim Arbeiten stören. Man kann sie aufhalten, besonders wenn sie es eilig haben und man kann sie in eine Geheimdienstoperation verwickeln. Und dann ist da immer noch das Wetter. Alfred Hitchcock machte genau das zum Grundgerüst einer kleinen widerspenstigen Liebesgeschichte. Ina Henderson (Margaret Lockwood) wollte kurz vor ihrer Hochzeit noch einmal schnell eine Europareise unternehmen, doch wegen eines Lawinenabgangs bleibt ihr Zug im verschneiten Balkan liegen und im Bahnhofshotel, man ist ja nicht in einem Agatha-Christie-Roman[1], kommt sie auch mit anderen Passagieren in Kontakt, darunter Miss Froy (May Whitty), einer älteren Dame aus dem gehobenem Mittelstand und Gilbert Redman, (Michael Redgrave), einem jungen Volksmusikforscher, dessen Feldstudien über regionale Volkstänze für eine etwas unruhige Nacht sorgen - Bela Bartok und Alan Lomax waren damals intelektuell höchst interessant. Am nächstem Morgen kann der Zug seine Reise fortsetzen, doch nach einem kurzem Nickerchen muss Ina feststellen, dass sich ihre Gesprächs- und Abteilpartnerin Miss Froy irgendwie aus dem Staub gemacht hat – schlimmer, keiner ihrer Mitreisenden will sie überhaupt gesehen haben, die vermuten sogar, dass sie sich diese Person nur eingebildet habe. Die einzige Person, die sich vom Gegenteil überzeugen lässt ist ausgerechnet der nervige Musikwissenschaftler. Im Laufe des Filmes, Hitchcock begann ja erst in Hollywood mit der Glaubwürdigkeit seiner Erzähler zu experimentieren[2], stellte sich heraus, dass eigentlich alle an Bord des Zuges ihre durchaus nachvollziehbaren Gründe hatten nicht in eine Thrillerhandlung verwickelt zu werden, ohne diplomatischen Beistand mit einer ausländischen Polizeibehörde in Kontakt zu geraten ist nur einer.

Am Ende kommt man zwar zu spät in London an, aber das macht dann auch nichts mehr, Ina hat kein Interesse mehr ihren langweiligen Verlobten zu heiraten, und das große Testmatch gegen Australien hat aufgrund von Regen und der dadurch verursachten Unbespielbarkeit des Platzes noch nicht begonnen. Hitchcock inszeniert diesen kleinen Thriller mit einem minimalen Aufwand an Sets in einer humorvollen, mit Unterstatement und regionalen Stereotypen spielenden Art und Weise, die sich aber dennoch einer eindeutigen antiapeasement Haltung nicht verweigert. Eine Szene kann man als Ohrfeige an den damaligen britischen Premier Chamberlain werten.

[1] Mord im Orient Express wurde ja erst knappe 40 Jahre später verfilmt und Ian Fleming dachte noch nicht im Entferntesten an ein Doppelnullprefix.

[2] Und war mit dem Effekt, den sein Die Rote Lola deswegen auf das Publikum hatte, nicht sonderlich zufrieden.

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