(UK 2020)
„Oper, was hat das mit Film zu tun?“ werden jetzt sicherlich einige fragen. Nun Film hat viel von Oper, da sprechen nicht nur Bilder sondern auch der Klang, also Geräusche und Stimme das Publikum an, viel direkter als gedruckte Worte. Hätte Richard Wagner eine Filmkamera und einen Schneidetisch zur Verfügung gehabt, dann würde in Bayreuth jetzt kein Opernhaus stehen, sondern ein großes Lichtspielhaus.
Aber das Kino entstammt nun mal der Welt des Jahrmarktes, wo es zwischen andern Kuriositäten und vergnüglichen Divertisments einen Blick auf die große, nicht so fremde Welt warf. Für die gehobenen Stände war es, außer als Kuriosität, nicht gedacht. Aber gleiches galt auch ursprünglich für das Theater, das nur im alten Griechenland nur für kultische Handlungen diente, bis sich seine Wirkung vom Kulte löste und seinen eigenen Starkult schuf. Für die Distinktion der gehobenen Stände brauchte es jetzt etwas neues. Das war die Oper, die, um sich vom einfachen Volk abzusetzen, dann zur Repräsentanz herrschaftlicher Größe, zu Ausstattungsorgien, greifen musste. Mit dem Entstehen einer stadtbürgerlichen Mittelschicht, die sich ihre eigenen Bühnenhäuser leisten konnte, wurde diese Distinktion zu einer Frage des bevorzugten Stils. Da aber auch immer eine gewisse Faszination vom sozialen Unten ausgeht, begann man sich auch in der Mittel- und Oberschicht für diese Neuheit zu interessieren, und nur wenige Jahre nach den ersten öffentlichen Filmvorstellungen, befand man es im Frankreich der dritten Republik für opportun zu einem Lichtspiel über ein historisches Ereignis einen der größten Komponisten des Landes zu fragen, ob er denn die Musik für den Film „Die Ermordung des Herzogs von Guise“ schreiben könne. Camille Saint-Saëns konnte und ging so als erster Komponist dedizierter Filmmusik in die Geschichte ein. Die Filme entwickelten sich stilistisch weiter, die Musik in den großen Filmpalästen wurde besser, noch gab es genügend qualifizierte Musiker, die sich schnell auf neue, spezifische Filmmusiken einlassen konnten, doch in der Provinz, fern von den großen Städten gab es ein Problem, da gab es keine Orchester, da gab es nur Klavierspieler, die zu den Filmen improvisieren konnten. Es gab zwar schon früh Versuche Bild und Ton miteinander zu verbinden – Edisons Filmkamera war der fehlgeschlagene Teil eines Versuches ein kostenpflichtiges Videoclipabspielgerät im ausgehenden 19. Jahrhundert zu erfinden – doch die Synchronisation von Bild auf Filmstreifen und Ton auf Schallplatten funktionierte erst in den 1920ern zufriedenstellen und wurde bereits 1931 durch ein schon etwas früher erfundenes und technisch simpleres System ersetzt. Trotzdem war es in den großen Filmpalästen üblich, den Film (mit seinen Vorfilmen) als Abendunterhaltung immer noch mit Liveperfomances von Sängern, Schauspielern und Standup-comedians einzurahmen. Genau diese Tradition greift die aktuelle Produktion „Judith“ der bayerischen Staatsoper auf. Béla Bartók schrieb nur eine einzige Oper, Herzog Blaubarts Burg, ein zwei-Personen-Stück, einen Einakter mit einer Spielzeit von einer knappen Stunde – und das ist etwas kurz für einen Abend alleine. Entweder der Intendant Nikolaus Bachler, oder die Regisseurin Katie Mitchell oder die Dirigentin Oksana Lyniv hatten den genialen Gedanken, diesem Werk eine andere Komposition als Ouvertüre oder Vorspiel voranzustellen. Und mit Bartóks Konzert für Orchester hatten sie einen idealen Soundtrack gefunden. Der Film erzählt die Vorgeschichte der Oper, so wie sie von der Regisseurin als feministische Geschichte einer starken Frau gesehen wird. Immer ist die religiöse Deutungsebene der Judith aus dem Alten Testament im Bilde, die ja den feindlichen General zuerst betörte, dann enthauptete. Die beiden Hauptrollen des Films, der wohl in einer englischen Großstadt spielt, sind mit den beiden Hauptdarstellern der Oper Nina Stemme und John Lundgren besetzt, ob es sich bei den weiteren Darstellern um Mitglieder der Statisterie der bayerischen Staatsoper oder um andere Schauspieler handelt, ist mir derzeit nicht bekannt.
Die Regie dieses knapp 40 Minütigen Filmes lag in den Händen des britischen Regisseurs Grant Gee, der schon regelmäßig für Bühnenproduktion von Frau Mitchell derartige Filmprojekte inszeniert hat. In diesem Fall haben wir eine Story und einen Soundtrack, da fehlen dann „nur noch“ die Bilder. Und plötzlich wird dem Zuschauer klar, was denn Béla Bartók mit seinem Konzert für Orchester geschrieben hat – einen perfekten Filmscore. Plötzlich erklingt da mitten drinnen das berühmte Motiv aus der Lustigen Witwe, Heut gehen wir ins Maxims, und wir sehen auf der Leinwand, wie sich eine Dame die Nägel für ein erotisches Abenteuer lackiert und die Musik dazu wird gerade vor unseren Ohren live vom bayerischen Staatsorchester eingespielt. Als ich die Dirigentin Oksana Lyiniv das erste mal live erlebt habe, da war das auch mit dem bayerischen Staatsorchester in einer Produktion des Opernstudios des Bayerischen Nationaltheaters. Gegeben wurde Rossinis Le Conte d'Oury und Regie führte der Filmregisseur Marcus H. Rosenmüller, der es sich nicht verkneifen konnte, die wunderbare Arie über die Eroberung des Weinkellers der Abtei auch mit einem kleinen Filmchen zu illustrieren. Liebe Staatsoper, diese Produktion würde ich gerne als Wiederaufnahme sehen.
IMDB Link: https://www.imdb.com/title/tt11739632/reference Link zu VOD bei Staatsopern TV: https://www.staatsoper.de/judith.html
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