(Indien 2001)
Was können Filme über Sport schon bewirken? Ein Sportereignis ersetzen? Werbung für den Sport machen? Ein historisches Ereignis und seine Bedeutung illustrieren? Ein nationales Trauma bewältigen? Eine aktuelle politische Idee illustrieren? Lagaan versucht sich in allen dieser Möglichkeiten und fährt damit relativ gut, für einen indischen Kassenhit mit einer für indische Verhältnisse relativ kurzen Laufzeit von knapp unter drei Stunden, hatte er auch in Deutschland eine längere Kinoauswertung[1], die aber möglicherweise eher der damaligen Mode an Bollywood-Filmen als an seinem Thema lag. Der Sport, in dem es in diesem Film geht, ist Cricket, und das ist der englischste Sport den man sich vorstellen kann. Sinnigerweise sind die Hauptnationen, wo der Sport heute am populärsten ist, nicht das Vereinigte Königreich, Australien, Neuseeland und Südafrika[2], sondern Indien, Pakistan und Sri Lanka[3].
Und unter der indischen Landbevölkerung spielt dieser Film. Während der Raj – der englischen Herrschaft über den indischen Subkontinent - kommt es zu einem Streit zwischen einem Bauern und einem britischen Offizier über die Höhe einer jährlichen Abgabe, der dazu führt, dass der Offizier diese der Provinz erlässt, wenn diese seine Einheit bei einem Cricketspiel schlagen kann. Eigentlich eine unmögliche Aufgabe, wenn man weder die Regeln[4] und Spieltechniken kennt noch die nötige Ausrüstung hat. Man bekommt glücklicherweise Unterstützung von der Schwester des Offiziers, die dessen Verhalten wie der Engländer so schön sagt als „not cricket“ empfindet und so für mehr Chancengleichheit sorgt. Aus den Dörfern kann man eine kasten- und religionenübergreifende Mannschaft zusammenstellen, die, wie es sich für einen Sportfilm gehört, am Ende dank guter Schiedsrichter[5] gewinnt.
Der Film will erklären, warum Cricket zum indischen Nationalsport geworden ist, allerdings kann Indien kein Wunder von Bern vorweisen, es mag zwar sein, dass einzelne Einheiten der indischen Armee über ihre britischen Offiziere mit dem Spiel in Berührung gerieten, definitiven Kontakt hatten die Söhne der indischen Eliten, die an englischen Schulen ausgebildet wurden und bereits unter Kaiserin Victoria, finden sich die ersten indischen Namen auf Spielberichten Englischer Grafschaften. Cricket dürfte auf dem Subkontinent also eine Art kulturelles Trickle-down der Europäisierung gewesen sein.
Cricket wird heute in verschiedenen Varianten gespielt, weil es schneller geht und so besser bei den Werbetreibenden vermarktbar ist und angeblich mehr Action geboten wird, sind heute die limited over[6] Formate populärer als das klassische Test-Format, bei dem jede Mannschaft zwei Innings aka „Halbzeiten“ bestreitet, was durchaus mal 5 Tage dauern kann (Fußnote[4] schafft hier für mehr Klarheit), was sich aber in einem Film für ein internationales Publikum nur schwer erklären lässt, weshalb sich die Produzenten auf eine fiktive Spielvariante eines dreitägigen zwei-Innings-Spiels beschränkten.
[1] länger als Topsy Turvy
[2] da spielt man es auch auf höchstem Niveau
[3] Nicht zu Vergessen die Westindischen Inseln in der Karibik, Bangladesch und Afghanistan, Dänemark, Holland und Italien. Deutschland steht in der Rangliste – dank vieler Flüchtlinge aus Afghanistan immerhin noch vor Frankreich, Indonesien und Hongkong.
[4] “The Laws of Cricket“ werden heute vom MCC herausgegen. Die 42 Paragraphen gedruckt sind kleiner als die Maobibel, der Kommentar hingegen ist ein Buch mit 342 Seiten
[5] Ein noball ist eben kein gültiger Wurf, auch wenn er der letzte Wurf im letzten Over gewesen wäre. Und wenn dann mit dem letzten Wurf mehr Punkte erzielt werden, als die andere Seite in ihrer Halbzeit erzielen konnte, hat diese eben gewonnen.
[6] ein Over sind 6 gültige Würfe
Comments