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Casanova

Streifzüge

(Frankreich 1927)

Es ist erstaunlich, wie manche Filmarten aus der allgemeinen Erinnerung fallen. Wenn man Stummfilm hört, dann denken eigentlich alle an die sowjetischen Klassiker wie Panzerkreuzer Potemkin oder an Slapstick eines Buster Keaton[1] oder vielleicht noch Harold Lloyd in Sicherheit spielt keine Rolle, aber niemand denkt daran, dass es auch im Stumm all die Genres gab, die uns heute nicht nur auf der Leinwand, sondern auch auf dem Bildschirm täglich begegnen. Und wie heute gibt es nicht nur Hollywood, das uns mit dem gewünschten Content versorgt. Und ja, auch damals hatte Hollywood nicht das Monopol, auch wenn es sich die dortigen Produzenten (und ihre Finanziers) wünschten. Damals war es noch relativ einfach lokal gedrehte Filme weltweit zu vermarkten, dem Publikum war es relativ egal, ob die Lokomotive bei Baldwin oder Henschel gebaut war, ob das Auto von Renault oder Daimler stammte, etwaige Zwischentitel waren leicht zu übersetzen und Bilder und Körpersprache waren international verständlich [2], genauso war es möglich internationale Produktionen einfach durchzuführen, niemand konnte den Akzent der Schauspieler hören.

In Europa, da gab es drei große Zentren für die Filmproduktion, Babelsberg bei Berlin, Joinville bei Paris und Cinecitta bei Rom. Berlin und Paris waren die großen Fluchtpunkte für die Russen, die vor den Sowjets hatten fliehen müssen, und Paris erschien so manchen noch sicherer, da es Anfang 1919 so aussah, dass auch Deutschland zu einem kommunistischem Staat werden könnte. Einer dieser Exilanten war Iwan Mosschuchin, der bereits im Zarenreich ein Filmstar war [3]. Hier spielt er den berühmt berüchtigten Giacomo Casanova der in einer großen deutsch-französischen Koproduktion vom Regisseur Alexander Wolkoff durch dessen relativ frei gestaltete Biographie im Europa des vorrevolutionären 18. Jahrhunderts geschickt wird. Von Venedig über Wien nach St. Petersburg und wieder zurück nach Venedig folgt ihm die Handlung, wobei, man muss ja zu seiner Marke stehen, natürlich es die schönen Damen jeglichen Standes sind, die ihm begegnen, helfen (ja, blasen kann man auch wörtlich nehmen), in Gefahr bringen (eigentlich sind es die Ehemänner) und benutzen (auch wenn er seinen eigenen Nutzen daraus zieht).

Neben Mosschuchins brillanter Schauspielleistung (er war bereits ein Star in Europa) als er diese Rolle bekam, ist es vor allem die Ausstattung, die diesen Film trägt. Teile des Films wurden in den großen Kinos sogar in handkolorierten Kopien gezeigt [4]. In Nebenrollen sind auch andere Stars des damaligen europäischen Kinos zu sehen, wie Rudolf Klein-Rogge als Zar Peter [5], Jenny Jugo und Michel Simon.

Für die damalige Zeit typisch – in Paris saßen keine Puritaner, und wo welche saßen, waren sie mit der Schere zufrieden zustellen – hatte man keine Angst vor blitzenden Busen. Mit dem Tonfilm endete allerdings diese Epoche der problemlosen internationalen Zusammenarbeit. Diese Art der Filme geriet schnell in Vergessenheit und dieser Film wurde erst in den 1990ern wieder aus den Archiven ausgegraben. Die vom Rezensenten gesehene Fassung hat eine Länge von knapp über zwei Stunden, angeblich existiere noch eine 160 Minuten Fassung, so kann man es jedenfalls in der Wikipedia lesen.

[1] Auch wenn sein bekanntester Film Der General nicht den Aberwitz seiner Sieben Chancen oder Buster Keaton, der Filmreporter erreicht.

[2] Sofern es nicht um Gesten für Ja und Nein geht. Da gibt es auch in Europa deutliche regionale Unterschiede, der entsprechende Zoll pflegte zu warnen.

[3] Das berühmte Montageexperiment von Lew Kuleschow wurde mit einem unbenutztem Filmrest mit einer Nahaufnahme seines Gesichtes durchgeführt. Eine einzige Einstellung wurde vom Publikum je nach Kontext entweder als Trauer, Hunger oder Zuneigung interpretiert.

[4] Da 1 Minute Film aus gut 1000 Bildern besteht, kann man sich ausrechnen, wievielt Arbeit benötigt wird, um per Hand einzelne Details konsistent farbig abzusetzen.

[5] Ihm und vor allem seiner Gattin widmete Josef von Sternberg ein paar Jahre später Die Scharlachrote Kaiserin mit Marlene Dietrich.


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