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Streifzüge

Das Deutsche Kettensägenmassaker

Aktualisiert: 7. Juni 2021

(Deutschland 1990)

Geschichte wird auch weiterhin mit Blut geschrieben werden. Und den (Fernseh-)Bildern vom nationalpathetischen Unisono der deutschen Wiedervereinigung nachts in Berlin, mit Fackelschein und Hymnensang, mit Bundespräsident und -kanzler, folgt in diesem Film die blutige Moral der ganzen Geschichte.“ so schrieb im Dezember 1990 Fritz Göttler in seiner Kritik für die Süddeutsche Zeitung. Und natürlich wäre Schlingensief nicht Schlingensief wenn dieser Film nicht für sich alleine stände. So reiht er sich in sein Œuvre nahtlos ein und beschreibt seine sehr düstere Sicht auf die deutsche Einheit, die sich dann doch ein wenig positiver entwickelt hat.

Man kann sich aber Fragen, ob die Kernforderung der P.A.R.T.E.I. aus Gründen des Humanismus[1] hier nicht doch angebracht gewesen wäre. Der Film atmet, für einen Theatermann wie Schlingensief nicht überraschend, den Geiste Brechts - „Eine Oper so billig, dass sie sich auch der Bettler leisten kann“[2] - und natürlich auch den Viscontis (Die Verdammten), wenn er sich an einen Klassiker des Horrorfilms, den trotz seiner Indizierung jeder zumindest vom Titel her kennt, Blutgericht in Texas[3] anlehnt. Gedreht auf 16mm im abgewirtschafteten Ruhrgebiet mit billigsten Effekten bricht er das Genre des Horrorfilms auf, macht es dadurch als Künstlich sichtbar und zeigt das Zerbrechen der alten Identitäten.


"Wir sind das Volk"

Ehemalige Grenzer können sich nicht mit dem Verlust ihrer alten Lebensaufgabe abfinden, eine Leipzigerin hofft auf ein neues Leben im Westen, nachdem sie ihren Ehemann mal so schnell ermordet hat, doch im Westen sieht man nur neues Fleisch aus dem Osten für die Wurstproduktion kommen. Das billige Café gleich hinter der ehemaligen Zonengrenze heißt Café Porsche, der debile inzestuöse Sohn aus der Metzgerfamilie läuft mit einem alten Wehrmachtstahlhelm durch die Gegend, der mit Würsten verziert ist, als habe man Asterix die Flügel vom Helm geschnitten, und der Patriarch dieser Familie ist wie die Mutter von Alan Bates aus Psycho.

Ja, auch im Westen herrscht im Hintergrund immer noch der tausendjährige Ungeist – die alte SED Musik aber, die im Hintergrund einer Szene läuft, erinnert doch ein wenig zu sehr an das alte Diktum „Die SED, der große Freund der kleinen Nazis“ und die Uniformen der Grenzer können ihre Traditionslinie zur deutschen Reichswehr nicht verbergen - der Ungeist, der nicht nur Schlingensief beunruhigt hat.

"Wir sind was folgt."

In 63 Minuten kann man viel erzählen, wenn man sein Publikum zum Denken bringen kann, das hat man bereits 1933 mit den 59 Minuten von Diplomaniacs gezeigt, genauso irrwitzig fahren hier die üblichen Verdächtigen wie Alfred Edel, Dietrich Kuhlbrot, Karina Fallenstein und Susanne Bredehöft durch die Gegend, Hakenkreuze sieht man statt Rotzbremsen, und wer anders als die anderen ist, wird beseitigt. Vielleicht ist das die Aussage der immer wieder von einem Fernseher abgefilmten Ausschnitte vom kulturellen Nummer-1-Exportguts Nordkoreas.


Deutschland, Deutschland in der Nacht, hat mich um den Schlaf gebracht.“ schrieb einst der deutscheste aller deutschen Romantiker im französischen Exil. Vielleicht ist der Film, so wie auch Christoph Schlingensief, viel deutscher als er eigentlich seien möchte.

[1] Ich erinnere mich immer noch an das T-Shirt eines HiWis während meines Studiums, dessen Aufdruck in eine ähnliche Richtung zielte, aber an einen Spielbergfilm angelehnt war. Nein, nicht Schindlers Liste.

[2] Die Verfilmung von G.W. Papst von 1930 ist auch sehr empfehlenswert.

[3] Originaltitel The Texas Chainsaw Massaker

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