(UK 1963)
Ein typisches Genre des kalten Krieges war der Agentenfilm und der Filmagent des Westens war James Bond. Als Romanfigur von einem ehemaligen Nachrichtendienstoffizier der Royal Navy in den 1950ern erfunden, wurde er schnell zum Bestseller und war deswegen für eine Verfilmung prädestiniert. Harry Satzmann und Albert Broccoli erwarben die Rechte und fanden ihren James Bond in dem schottischen Schauspieler Sean Connery. Der besaß im Gegensatz zu den sonstigen Kandidaten wie Roger Moore, Patrick McGoohan, Cary Grant, Richard Burton und David Niven[1], eine extreme Körperlichkeit, er hatte vor seinem Schauspielunterricht als Bodybuilder gewirkt und während seiner Schauspielausbildung auch Unterricht in modernem Tanz genommen. Im Gegensatz zu den sonstigen britischen Schauspielern war sein James Bond nicht irgendein Ex-Offizier in feinem Zwirn, der durch die typischen englischen Eliteschulen gegangen ist, sondern es war bei ihm immer der einfache Arbeiter, der nach dem Abgang von der Schule mit 13 in den verschiedensten Berufen tätig war und erst nach seinem Ausscheiden aus der Royal Navy über Umwege Schauspieler wurde zu spüren. Die Produzenten hatten einen Volltreffer an den Kinokassen[2] gelandet und eine ganze Filmserie war entstanden. Allerdings wollte er sich trotz seines großen Erfolgs dieser Rolle sich nicht auf Ewig auf diese festlegen lassen. Und auch Regisseur Terence Young und die Drehbuchautoren Richard Maibaum und Johanna Harwood hatten ihr Vergnügen damit, den Film mit dem Tod von James Bond zu beginnen. Mit dieser Szene wird der direkte Gegenspieler Bonds eingeführt. Der Macguffin ist, der Film ist wie die Vorlage ein Produkt der Zeit als wirklich sichere Kommunikation noch über komplizierte, sperrige Chiffriermaschinen abgewickelt werden musste, eine sowjetische Kodiermaschine, die sich ein Verbrechersyndikat mit Hilfe des britischen Geheimdiensts beschaffen möchte. Dazu wird die paranoide Personalpolitik des KGB ausgenutzt.
Ian Flemming kam aus der operativen Ecke des britischen Geheimdiensts, John le Carré, der Erfinder Smiley und der andere große Spionageromanautor (sozusagen die Agatha Christie zu Ian Femmings Edgar Wallace) kam aus der analytischen. Entsprechend ist die Handlung weit mehr an der tatsächlichen physischen Action interessiert als am Kampf der Verstande. Das, was da als Übung vorgeführt wird, soll in diesem Film in die Praxis umgesetzt werden. Das, was sich so absurd anhört, dass es einfach nicht wahr seien kann, ist natürlich ein Fake, weil man darauf spekuliert, dass es von den Briten wegen der Offensichtlichkeit des Fakes eben doch für wahr gehalten wird. Nein, die Mitarbeiterin der KGB-Station in der Türkei hat sich nicht in das Bild von James Bond verliebt, und die Chiffriermaschine, die er klauen soll, ist natürlich keine Bombe zum Ausschalten der MI6 Spezialisten. Der Diebstahl gelingt, James Bond hatte eine vergnügliche Nacht im Hotel, nicht ahnend, dass das Liebesspiel von SPECTRE auf Zelluloid gebannt wurde, irgendwie muss man ja einen erweiterten Selbstmord rechtfertigen.
Doch der Mordanschlag auf Bond im Orientexpress scheitert. Bonds Mörder verrät sich an einer Kleinigkeit, die einem echten standesbewussten Briten nie passieren würde, er bestellt sich im Speisewagen zum Fisch Rotwein. Sean Connery hat dies in seiner Zeit an der Schauspielschule gelernt, aber einem desertiertem einfachem Soldaten, der nur einen Crashkurs beim KGB bekommen hat, hat man solche Banalitäten in der Vorstellung der Drehbuchautoren nicht bei gebracht. Interessant ist natürlich auch der Handlungsort, der Orientexpress. Natürlich kommt einem da automatisch Der Mord im Orientexpress in den Sinn, der Krimianroman von Agatha Christie, in dessen Verfilmung Sean Connery 1975 mitwirkte, aber natürlich auch Erik Amblers Journey into Fear, den Orson Welles 1943 zusammen mit Norman Foster als Von Agenten gejagt verfilmte und natürlich Alfred Hitchcocks Eine Dame verschwindet, wo man sich mit den Konkursmassen Österreich-Ungarn und der Hohen Pforte herumschlagen muss.
Wie es sich für einen ordentlichen britischen Agentenfilm gehört, muss natürlich auch das Anderssein des Gegenspielers und der eigenen nicht britischen Verbündeten betont werden. „Kronsteen“ klingt irgendwie jüdisch, hätte Dr. Goebbels behauptet[3], der türkische Verbindungsmann wurde von einem Mexikaner gespielt, und die Brutalen örtlichen Handlanger des KGB sind Bulgaren. Zigeuner[4] haben archaische Sitten und Gebräuche und natürlich wird die zu SPECTRE übergelaufene KGB-Offizierin von einer Deutschen (im Original inklusive Akzent) gespielt. Für einen britischen Film dieser Zeit ungewöhnlich war, dass Daniela Bianchi kurz nackt über die Leinwand huschte, eine Szene, die für den US-Markt und später das Fernsehen geschnitten wurde.
[1] Eigentliche alle diese Schauspieler verkörperten Geheimagenten auf der Leinwand, zwei spielten tatsächlich sogar zumindest einmal James Bond.
[2] Die Filme verkauften sich auch sehr gut im westlichen Ausland, wobei der bekannte Witz mit der „falschen“ Übersetzung ins Japanische leicht erklärbar ist, wenn man weiß, dass die andere große Erfolgsserie aus dem Vereinigten Königreich Filme über Jungärzte waren, die in amouröse Probleme geraten. Doctor in the House, Doctor at Sea und Doctor at Large lassen ein Wir wollen keinen Doktor als Übersetzung von Doctor No nicht so absurd erscheinen.
[3] Und Zarah Leander, die von ihm auf diese Eigenschaft ihres Vornamens angesprochen wurde, erwiderte „Joseph auch“.
[4] Nein, ich weiß nicht, ob diese fiktiven Zerrbilder rassistischer Vorurteile nun Sinti, Roma oder sonstige Volksgruppen darstellen sollen und ich will damit keine Angehörigen dieser Ethnie beleidigen. (Berufsempörte, auch aus nicht betroffenen Sozial- und Volksgrupp*Innen, ausgenommen)
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