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Streifzüge

Sleeping Beauty

(Australien 2011)

Bei diesem Titel denkt das des Englischen mächtige Publikum automatisch an Dornröschen, doch mit dieser Assoziation könnte man nicht falscher liegen, die Vorlage des Films ist ein Roman des japanischen Literaturnobelpreisträgers Yasunari Kawabata, der mit Motiven aus dem Œuvre Gabriel Garcia Marques angereichert wurde.

In ihrem ersten Spielfilm wirft die Regisseurin Julia Leigh einen nüchternen Blick auf die Position junger Akademikerinnen in der modernen Gesellschaft. Ihre Protagonistin Lucy (Emily Browning) jobbt neben ihrem Studium in verschiedenen Funktionen, vom Testobjekt für die medizinische Fakultät, bis zur Bürohilfe, von Kellnerin in einem Café bis zur Hostess in einem Nachtclub. Nebenbei kümmert sie sich auch um einen alkoholabhängigen guten Bekannten, Birdman (Ewen Leslie) dessen Avancen sie regelmäßig zurück weißt, sich aber in seiner Gegenwart trotzdem wohlfühlt. In einer Zeitung findet sie ein Stellenangebot für eine freiberufliche Tätigkeit, das sie interessiert. Auch hier wird ihr und damit dem Publikum klar gemacht, dass sie hier ihre Haut im wahrsten Sinne des Wortes zu Markte trägt, wie beim Viehmarkt wird sie von den Entscheidern (m/w) begutachtet, auch wenn ihr versichert wird, dass ihre Scheide, trotz größter Diskretion nicht penetriert wird. Sie nimmt die Stelle an und muss nur in Unterwäsche bekleidet auf einer vornehmen Herrenrunde servieren. Sie steigt in diesem Unternehmen auf und ihre Führungskraft Clara (Rachael Blake) bietet ihr eine lukrativere Stellung an, sie soll unbekleidet neben einem Kunden schlafen, eine Penetration ist nicht vorgesehen[1].


Dass die Vorlage ein japanischer Roman ist, bemerkt man an der Rolle, die Rituale in diesem Film spielen, die Gespräche zwischen Lucy und Birdman laufen fast immer nach dem gleichen Schema ab, auch das erste Servieren in der Herrenrunde scheint nicht das erste derartige gewesen zu sein, dazu reagieren die anderen Frauen viel zu gelassen ob der kleinen Übergriffigkeit des Gastgebers (Peter Carroll), der ein Cognacschwenker zum Opfer gefallen war. Aber es sind diese kleinen Rituale, die dem Charakteren und damit dem Film Halt und Struktur geben. In relativ langen Einstellungen zelebriert die Kamera die Reaktionen unsere Hauptprotagonisten auf die Monologe[2], die die Handlung um sie herum vorantreibt und erklärt, sie selbst reagiert mehr als das sie agiert und die Reaktionen beschränken sich häufig auf ein anders hinlegen[3]. Für die anderen Protagonisten, wie Carla und die Kunden, die ihre Dienste in Anspruch nehmen ist sie der Katalysator, der Erinnerungen und die dazugehörigen Ruflektionen aus löst.

Eines der Grundprinzipien der Sexarbeit ist absolute Diskretion, aber wenn die Dienstleistung es nicht gestattet, dass frau als Serviceprovidern bewusst mitbekommt, „schlafen“ ist hier wörtlich zu nehmen, was denn überhaupt geschieht, erzeugt dies natürlich Neugierde. Und nicht nur Filmemacher und ihr Publikum wollen diese Neugierde befriedigt sehen[4], auch Lucy greift verbotener Weise zur versteckten Kamera. Wäre der Film ein Horrorfilm, würde ein solches

trangressives Verhalten fremde Dämonen herbeirufen, doch in diesem Falle wird nur das Märchen der Gebrüder Grimm ironisch gebrochen, es ist der Tod eines alten Mannes, der Lucy aus ihrem Leben erwecken kann, das Ende des Filmes ist entsprechend offen. Die australische Schauspielerin Emily Browning wurde weltweit bekannt durch eine kleine Rolle in den Horrorfilm Ghost Ship – Meer des Grauens aus dem Jahre 2002 und Ned Kelly von 2003 mit Heath Ledger in der Hauptrolle, 2011 kam dann Zack Snyders Sucker Punch in die Kinos, nachdem sie eine Rolle in Black Swan abgelehnt hatte. Für die Regisseurin Julia Leigh war dies bislang der einzige Film, neben mehreren durchaus erfolgreichen Romanen und Drehbüchern. Ursprünglich war sie Rechtsanwältin, zu ihrem Mandantenstamm gehörte die australische Schauspielerdgewerkschaft. Die Herkunft von der schreibenden Zunft macht sich darin bemerkbar, dass eine der Reflektionen angesichts der schlafenden Lucy eine Zusammenfassung einer Kurzgeschichte Ingeborg Bachmanns ist, die sogar bildungsbürgerlich korrekt zitiert wird.

Der Film eröffnete den Wettbewerb um die Goldene Palme in Cannes 2011, es war der erste australische Beitrag dort seit Moulin Rouge im Jahre 2001, die Vorlage wurde bereits drei Jahre zuvor in Deutschland als Das Haus der Schlafenden Schönen verfilmt.

[1] und praktisch, wie altersdiskriminierend, wohl auch unmöglich.

[2] J., du bist nicht das einzige Opfer eines derartigen Verhaltens, wobei ich explizit nicht den Nachsatz meine. Nein, das ist keine Reverenz an Nabokov.

[3] Was ein wenig an die Aktionen von Jean-Claude Brialy in seiner ersten Szene mit Monica Vitti in Buñuels Das Gespenst der Freiheit erinnert.

[4] Der Film Bedways diskutiert dieses Verhalten und die Fragen dahinter zur genüge.


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