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  • Streifzüge

Die Austernprinzessin

(Deutschland 1919)

Ernst Lubitsch war bereits im deutschen Kaiserreich ein gefragter Regisseur, der selbst auch als Schauspieler in Komödien nicht nur vor der Kamera[1] gestanden war. Und da er genau wusste, was bei seinem Publikum ankam, konnte er genau das seinem Publikum geben und da er nicht nur auf billige Effekte setzte, die nur zur Entstehungszeit relevant waren, funktionieren seine Filme auch heute noch, mehr als einem Jahrhundert nach ihrem Entstehen. Das groteske Überzeichnen der Charaktere mit einem satirischen Blick hinter die spießbürgerliche Moral ist zeitlos.

Ja, man merkt, dass der Stoff 1919, ein Jahr nach der Revolution in Deutschland während eines defakto Bürgerkrieges entstanden ist, in dem dem Mittelstand bewusst geworden ist, dass er während des Weltkrieges verarmte, aber dem niedrigem Adel, dem Rückgrat der alten kaiserlichen Ordnung ging es auch nicht besser – und der war bereits vor dem ersten Weltkrieg das Ziel sämtlicher Witze der gebildeten Stände. Nicht umsonst heißt die Rolle des männlichen Hauptdarstellers Prinz Nucki (Harry Liedtke[2]), der damals jeden automatisch an die Operette Ein Waltzertraum – 1931 von Lubitsch als The Smiling Lieutenant verfilmt – denken ließ. Die Zugrundeliegende Kurzgeschichte heißt Nux, der Prinzgemahl. Aber um den geht es ja gar nicht, der Titel des Filmes ist die Austernprinzessin und es ist ein Ossi-Oswalda-Film. Ossi Oswalda war eine Berliner Lehrerstochter, die als Tänzerin Ernst Lubitsch für einen seiner frühen Filme empfohlen wurde und die er, ihre Darstellerischen Qualitäten erkennend, sofort exklusiv unter Vertrag nahm.

Hier spielt sie die verzogene Tochter eines amerikanischen Austernmillionär, die es sich in den Kopf gesetzt hat, einen echten europäischen Adeligen zu heiraten. Sofort, denn die Influencer-Konkurrenz, die Tochter eines Schuhcremefabrikanten[3], hat es ja auch gerade gemacht. Und Ossi Oswalda wäre nicht zum Star geworden, würde sie in ihrem komischen Furor nicht beginnen das väterliche Haus physisch zu verwüsten um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dem Energiebündel Ossi Oswalda steht ein äußerst nachgiebiger phlegmatischer Vater (Victor Janson) gegenüber, der genauso überzeichnet in seinem Wohlstand ist, nicht mal Zigarrenrauchen macht er alleine, auch dazu beschäftigt er eigenes Personal. Sein Haushalt kann mehr Diener aufbieten als so mancher Graf.

Ein Heiratsvermittler kann auch einen Prinzen auftreiben, doch Nucki traut dem Angebot nicht so recht und schickt erst mal einen Freund (Julius Falkenstein) vor, der Ossi zwar optisch nicht sonderlich beeindruckt, aber den richtigen Titel vor dem Namen hat, und deswegen gleich als Prinz Nucki geheiratet wird. Allein bummelt es sich aber für den nichtsahnenden Bräutigam auch nicht so schön, dass am nächsten Morgen dann zwei besoffene Bräutigame[4] im Haus der Braut, und da diese auch einem Verein zur Bekämpfung der Alkoholsucht unter Adeligen vorsteht – vielleicht ein Ergebnis der durch Alkoholdurst ausgefallenen Hochzeitsnacht – kommt es zu einem Boxkampf unter den weiblichen Mitgliedern dieses Vereins. Und natürlich finden sich am Ende die richtigen. Sie sind ja schließlich schon verheiratet. Ja, hier in diesem Film bekommt die Frau, was sie will. Mit der Weimarer Verfassung von 1919 bekamen die Frauen das Wahlrecht und die alten Eliten konnten nur von draußen zusehen. Das von Draußen zusehen und nicht mehr Teil des deutschen Films zu sein, das Schicksal begann für Ossi Oswalda mit dem Tonfilm, 1933 musste sie nach Prag fliehen, wo sie dann 1947 völlig vergessen starb, Ernst Lubitsch ging bereits in den 1920ern nach Hollywood, Curt Bois, der hier als Bandleader zusehen war, konnte seine Filmkarriere 1937 in Hollywood fortsetzen und stand 1987 in Der Himmel über Berlin 80 Jahre nach seinem ersten Filmauftritt immer noch vor der Kamera.


[1] Der Sohn eines Tuchhändlers begann seine Bühnenkarriere 1911 unter Max Reinhard am Deutschen Theater in Berlin.

[2] Der einzige der großen Namen in diesem Film, der nicht vor den Nazis fliehen mussten – dafür wurde er kurz vor Kriegsende 1945 von einem marodierendem sowjetischen Soldaten erschlagen.

[3] Erich von Stroheim nimmt diesen Aspekt in seinem Der Hochzeitsmarsch auch wieder auf – die Frau, die sein Held heiraten muss, ist die Tochter eines Hühneraugenpflasterfabrikanten

[4] Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal C++ Witze in einer Stummfilmbesprechung unterbringe, aber mir fällt es schwer den Plural von Bräutigam zu tippen, wenn ich rechtlich von der gleichen Person in zwei verschiedenen körperlichen Instanzen spreche – ob Douglas Adams an so etwas dachte, als er seine Grammatik für Zeitreisende erfand. (Warum ist das nicht Fußnote 42?)


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