(Deutschland 1995)
In der Sowjet Union und dem ganzen Ostblock wurde bis zum Fall des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 weniger als 100 Musicals gedreht – zum Vergleich nur in Hollywood von 1927 bis 1932 über 150. Da stellt sich die Frage warum. Dieser Film versucht eine Antwort zu liefern und konzentriert sich auch aus sprachlichen Gründen auf das sowjetische Kino der Stalin und Chruschtschow Zeit, sowie die wenigen Versuche der DEFA gegenüber dem Westkino (bis zum Bau der Berliner Mauer) und dem bundesdeutschen Fernsehen (danach) etwas eigenständisches entgegenzusetzen. Aber auch diese Versuche wurden im Kampf um Ressourcen zwischen den Wünschen der Partei, den Ansprüchen der Ideologie[1], wie sie von der Partei verstanden wurden, und dem was auf der Leinwand gezeigt[3] werden konnte zerrieben. Bei der DEFA war die Verzweiflung so groß, dass man genau darüber sogar ein eigenes Musical, Revue um Mitternacht, drehte, was zwar relativ erfolgreich war, aber keine weiteren Konsequenzen für die Beteiligten mit sich brachte. Das Plansoll wurde erfüllt, es gab keine Beanstandungen aber eben auch keine Belohnung. In der Stalinzeit war das anders, der Regisseur, dessen Film von der Zensur abgelehnt worden war, ging direkt nach ganz oben und hatte für die restliche Zeit ausgesorgt[4] – er heiratete seine Hauptdarstellerin und präsentierte sie alle paar Jahre dem sowjetischen Kinopublikum, eine seiner Filmoperetten – Wolga-Wolga - sah sich Stalin über 100 Mal an, und verschenkte sie auch seine wichtigsten Verbündeten – vielleicht auch als Zeichen, dass sie endlich eine zweite Front in Europa eröffnen sollten.
Wer hingegen an dieser Stelle keinen Erfolg hatte, und keine gute Selbstbezichtigung für sein Anweichen von der Parteilinie schreiben konnte, fand sich mit ein wenig Pech in einem Arbeitslager in Sibierien wieder. Arbeit hatte dem Werktätigen Spaß zu machen, wer ob dieser Situation keine Freude empfinden konnte, hatte im Paradies der Werktätigen kein Recht auf Existenz.
Zwischen den Interviews mit den Beteiligten, Soziologen und einer russischen Filmwissenschaftlerin, die einen sehr guten knappen Überblick über die politische Hintergründe liefern, kann man sehr viele Interessante Filme entdecken, die leider nur sehr schwer zu identifizieren und somit aufzutreiben sind. Das betrifft neben den stalinistischen Filmen auch eine wunderbare Nummer, die definitiv (eine Kopie lag im tschechischen Filmarchiv Prag) das Keep Young and Beautiful aus Roman Scandals als Inspiration verwendet hat. Und natürlich, einen Witz im Abspann konnten sich die Macher dieses Dokumentarfilms nicht verkneifen.
[1] Karl Marx hat zwar während seiner Studentenzeit so manches Lied aus dem Kommersbuch gesungen, aber nie explizit über den Gesang auf der Bühne geschrieben[2].
[2] Falls doch, bitte ich um die Fundstellen – es gibt auch ein freundliches Helles
[3] Manchmal war halt der Strom knapp, manchmal waren andere Sachen knapp – nur Arbeitskräfte waren immer vorhanden – ein Vorteil totalitärer Regime oder schlechter Zeiten.
[4] Man vergleiche dies mit der Feuerzangenbowle
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