top of page
  • Streifzüge

Jeanne Dielman

(Belgien 1975)

Chantal Ackerman hat eine ungewöhliche Geschichte, wie sie überhaupt zum Film gekommen ist, sie besuchte zwar, nachdem sie mit 15 zufällig einen Godard-Film gesehen hat und sich darauf hin entschied selber Filme zumachen eine Filmschule, doch als sie da mit 18 angenommen wurde hatte sie bereits ihren ersten Film auf 35mm gedreht. Als Kind einer Überlebenden des Holocausts, die es von Polen nach Belgien verschlagen hatte, konnte sie die Traumabewältigung aus erster Hand beobachten, und dieser Film handelt von der Unmöglichkeit mit den Zumutungen des modernen Lebens klar zukommen. Die titelgebende Jeanne Dielman (Delphine Seyrig) ist eine verwitwete Mutter, die in Belgien versucht, irgendwie ihren jugendlichen Sohn durchzubringen und das irgendwie bedeutet, dass sie ihren Körper verkauft. Im Gegensatz zu Godard, der diese Tatsache modernen großstädtischen Lebens mehr als Hintergrund für die Handlung seiner Filme verwendet und als Statistik führt, man denke an den Anfang von Ein oder zwei Dinge, die ich über sie weiß, hat Chantal Ackerman eine völlig andere Agenda, den Feminismus. Der Film ist mit einer Laufzeit von 200 Minuten für einen europäischen Film ungewöhnlich lang, und ungewöhnlich ist auch der Stil, statische Kamera, extrem lange Einstellungen, die Jeanne Dielman bei den üblichen Handlungen einer Hausfrau zeigt, das Kind wird geweckt, das Essen wird zubereitet, die Wohnung gereinigt, Geschäfte werden getätigt. All das wird in Farbe gezeigt, aber die langen Einstellungen und die Schnitte, die könnten auch in den 1910ern auf Zelluloid gebannt worden sein, das einzige, was da ein Anachronismus wäre, ist Kleidung, Einrichtung und Autos auf der Straße, die in Design und Farben einfach 1970er schreien. Dass Jeanne Dielman von diesen Verhältnissen nicht Wahnsinnig wird, ist das eigentliche Wunder. Doch bei einem ihrer Kunden, den sie empfängt, während ihr Sohn in der Schule ist, wird die übliche Routine gestört, was zu einem heruntergefallenen Löffel[1], verkochten Kartoffeln und am Ende zu einem Mord führt.

Dafür, dass sie selbst in Ich, Du, Er, Sie extrem freizügig aufgetreten ist[2], und Delphine Seyrig nicht gerade vor Nacktszenen wie in Der Schakal zurückschreckte, ist dieser Film sehr zurückhaltend. Es sind die immer gleichen alltäglichen Routinen, die den Zuschauer in eine fast meditative Stimmung versetzen, und ihn deswegen zu einem künstlerisch wertvollen Feministischen Manifest machen.

[1] Ob es eine kleine Anspielung an Ekstase ist?

[2] In diesem Film hört man sie nur als Nachbarin, auf dessen Baby Jeanne Dielman aufpaßt.





27 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page