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  • Streifzüge

Weiße Margeriten

Aktualisiert: 12. Apr. 2021

(Frankreich 1956)

1871 war Frankreich aufs Tiefste gedemütigt worden. Hatte es doch die napoleonischen Kriege in den 25 Jahren nach der französischen Revolution 1789 dank eines ausgleichenden reaktionären Friedens auf dem Wiener Kongress glimpflich überstanden, musste ab 1830 innenpolitischer Druck doch immer wieder nach außen abgelassen werden, was erst zum Sturz einer Linie des Königshauses führte (Eroberung von Algerien), dann zu einer Revolution (nach einem gescheiterten Abenteuer in Ägypten und gescheiterten Grenzkorrekturen im Westen), und schließlich zu einem neuem Kaiserreich unter einem populistischem Enkel des säkularem Nationalheiligen, der dann in seinen politischen Winkelzügen seinen Meister fand, und schmählich auf dem Schlachtfeld in preußische Kriegsgefangenschaft geriet. Da das Volk diese Niederlage nicht verkraften wollte, setzte es den Krieg noch ein knappes halbes Jahr fort, Paris wurde belagert und es fand sich niemand, der sich wieder die Krone aufsetzen wollte und Frankreich war zum dritten Male eine Republik. Und es sann auf Rache, die es erst 1919 bekommen sollte.

In der Republik waren nicht alle mit dem Kurs der Regierung einverstanden und so mancher glaubte er könne es besser. Kaum dass die letzte Rate der Kriegsentschädigung an Deutschland gezahlt war, der Krieg war durch seine unerwartete Länge bei weitem teurer als erwartet, spekulierten militärische Kreise in Berlin auf einen Präventivkrieg, was innen- und außenpolitisch für Unwillen sorgte und langsam dazu führte, die Fesseln um Frankreich zu lockern. In Frankreich setzte man alles daran, diese Lockerungen auszunützen und nur die Modifikation des preußischen Infanteriegewehrs Modell 1871[1], so heißt es in manchen Darstellungen der Militärgeschichte, verhinderte, dass sich eine diplomatische Krise um die unrechtmäßige Verhaftung eines französischen Zöllners 1887[2] dann doch zu einem weiteren Krieg erweiterte.

Einer der französischen Scharfmacher, der Kriegsminister General Georges Boulanger, ist das Vorbild für eine der Hauptperson dieses Sittenbildes der Belle Epoque, der von Jean Marais gespielten General Rollan, den die Liebe zu der verwitweten polnischen Gräfin Elena (Ingrid Bergmann) beinahe zum neuen französischem Präsidenten macht und den nur eine andere in ihn verliebte Frau (Élina Labourdette) dann doch in den sicheren Hafen der Ehe steuert, ohne dass er das Steuer des Staates übernehmen muss. Jean Renoir drehte hier in Farbe deutlich unter dem Einfluss seines Vaters, des Malers Auguste Renoir, mit Schauspielern in der zweiten Reihe mit denen er schon öfters gearbeitet hatte, darunter Gaston Modot, der hier die direkteste Verbindung zu seiner berühmtesten (und bittersten) gesellschaftskritischen Farce, der Spielregel, herstellt. Hier allerdings bleibt niemand versehentlich auf der Strecke, hier finden sich die Paare und die Liebe überbrückt alle Gegensätze. Während die Masse getäuscht wird, und die polnische Gräfin ihren richtigen Verlobten in einem Bordell küsst, und der General sich mit seiner Mätresse ins Exil begibt und damit einen Staatsstreich und vermutlich den nächste Krieg mit Deutschland verhindert wird, freut sich das Volk.

Für Ingrid Bergmann war dies der erste Film, nachdem sie sich von ihrem Mann Roberto Rossellini getrennt hat, und es war ihr Film. Sie hält alles in Bewegung, ihre Figur hält alles in Bewegung, und dann, als sie fast Schicksal Frankreichs ändert, stellt sie doch ihr persönliches Glück in die Mitte ihres Strebens.

Die Bordellbetreibern wird von Dora Doll[3] gespielt, die schon in French Can-Can und in Jacques Beckers Wenn es Nacht wird in Paris mitgewirkt hat.

[1] die Modifikation des Jahres 1884 verschlechterten zwar die ballistischen Leistungen des Gewehres ein wenig, machten aber aus einem Einzellader ein Repetiergewehr mit siebenschüssigem Magazin, was die Feuergeschwindigkeit (und den Munitionsverbrauch) gewaltig steigerte. Vor 1895 führen beide Seiten neue Gewehre mit noch größere Feuergeschwindigkeit und entsprechenden Patronen ein. Die modifizierte Munition wird auch heute im 21. Jahrhundert noch verwendet.

[2] die sogenannte Schnäbele-Affäre

[3] Sinnigerweise wirkte sie auch in einer Nebenrolle in Mademoiselle Strip-Tease mit, den man nicht mit Das Gänseblümchen wird entblättert verwechseln sollte, der im angelsächsischem Raum mit diesem Titel in die Kinos kam. Städter können Mageritten mit Gänseblümchen verwechseln.

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