(USA 1933)
Manchmal erzählen Filme ihre eigene Produktionsgeschichte. Dieses Remake eines frühen Tonfilmes ist so ein Fall. Mit 42nd Street hatte Warner einen für sie selbst unglaublichen Erfolg geschaffen, dass man unbedingt an diesen Erfolg anschließen musste, die gleichen Stars, der gleiche unique selling point und den Stoff, den hatte man bereits auf Lager[1]. Alles war bereit für den nächsten Erfolg, und das Schema funktionierte mit leichten Abwandlungen im Personal für Warner bis 1937. Es waren alle das, was Jane Feuer in den 1970ern als Backstagemusicals definierte, Filme, bei denen die Produktion einer Show auf der Bühne das Ziel alles Bestrebens der Protagonisten, dass dabei sich auf Paare im Leben neben der Bühne fanden, war eigentlich nur ein dramaturgisch willkommener Nebeneffekt, den man auf der Bühne natürlich wunderbar spiegeln oder, wie viel später in Kiss Me Kate ironisch brechen konnte. Hier hing die Filmhandlung natürlich nicht in der leeren Luft. Die Handlung beginnt mit einer Generalprobe einer Revue am Broadway, ja wir haben Geld, singen die Chorusgirls um Fay Fortune (Ginger Rogers), nur spärlich mit Silbermünzen bekleidet, als der Gerichtsvollzieher hereinplatzt und alle Dekorationen und Kostüme beschlagnahmen lässt, ein paar Rechnungen wurden nicht bezahlt und der Gläubiger will wenigstens etwas Geld sehen, der Bootleger, wir sind noch in der Prohibition wirft seinen Geigenkasten, ja man kann nicht nur Maschinenpistolen darin verstecken, noch schnell in die Ecke, aber diesmal war nicht er das Ziel der Exekutive, dafür sehen die Chorusgirls um Carol King (Joan Blondell) vor dem wirtschaftlichen Ruin, ein brauchbares Alltagskostüm für vier Personen ist dann doch ein wenig zu wenig, allerdings hat ihr Regisseur Barney Hopkins (Ned Sparks) eine weitere Möglichkeit für eine neue Show aufgetan, weil das dritte Chorusgirl Polly Parker (Ruby Keeler) einen mit Brad Roberts (Dick Powell) einen Freund hat, der nicht nur eine Show komponiert hat, sondern auch bereit wäre, diese mit 15.000 Dollar zu finanzieren, wenn er anonym im Hintergrund bleiben kann. Doch am Premierenabend fällt der Hauptdarsteller aus medizinischen Gründen aus und Brad muss seine Anonymität als Einspringer aufgeben. Nein, er wird nicht wie von den Chorusgirls vermutet von der Polizei gesucht, sondern nur von seiner Verwandtschaft, die es überhaupt nicht mag, dass der jüngere Sohn sich mit so etwas „billigem“ wie Theaterleuten abgibt. Brads großer Bruder Lawrence Bradford (Warren William) unternimmt alles, um die in seinem Augen falsche Braut Carol King von Brad weg zu lotsen. „Wenn einer denkt, ich verkaufe meine Braut“ heißt es bei Smetana und Carol beginnt ein ähnliches Manöver. Weil Lawrence sie für Brads Braut, und Lawrence Polly für harmlos hält, dann muss man ihn doch einfach in seinem Irrtum bestärken. Der wirkliche Goldgräber war doch Fay, und die ist bei dieser Produktion nicht beteiligt, dafür hat sich Trixie (Aline MacMahon) Lawrence Anwalt Peabody (Guy Kibbee) geangelt. Ein letzter Versuch Lawrence', nachdem ihm sein Fehler bewusst geworden ist, die Ehe zwischen Brad und Polly zu verhindern scheitert an schlechtem Casting – der Polizist, der Brad wegen falscher Altersangabe auf dem Aufgebot verhaften soll, spielt schon seit Jahrzehnten Polizisten auf der Bühne und ist Barney natürlich bekannt und einer Doppelhochzeit Brad und Polly sowie Carol und Lawrence steht nichts mehr im Weg.
Nun, was hat diese Handlung mit der Produktionsgeschichte dieses Filmes zu tun? Eigentlich war es eine einfache kleine simple Geschichte, die da verfilmt werden sollte, doch mit dem Erfolg von 42nd Street fiel die Entscheidung der Broadwayshow viel mehr Raum zu geben. Eine eingeplante Produktionsnummer fiel so weg, die Person der Fay Fortune (Ginger Rogers) wurde halb aus dem Film geschrieben, entsprechend wurde der Platz für die Produktionsnummern ausgeweitet – der Film hat eine Laufzeit von etwa 97 Minuten, von denen gut 30 auf die vier Produktionsnummern entfallen. Die erste, kürzeste kommt am Anfang gleich nach dem Vorspann und wird nach knapp über drei Minuten gewaltsam abgebrochen, nach dem ersten Teil der Handlung mit dem ungeplanten Einspringen von Brad kommt die zweite Nummer, die dritte und vierte folgen jeweils nach Handlung, die sich mehr und mehr um das Verhältnis zwischen Carol und Lawrence, bis dann vor der vierten, den Film abschließenden Nummer dann alles geklärt ist. Im Gegensatz zu 42nd Street kommt hier nicht die Revue massiert am Ende, sie verteilt sich über die ganze Laufzeit des Filmes.
Ja, die große Weltwirtschaftskrise ist das Thema des Filmes und da schob sich im Juli 1932 ein politisches Ereignis in den Weg, das indirekt weltgeschietliche Auswirkung haben sollte. Beinahe 20.000 Veteranen des ersten Weltkrieges forderten die vorzeitige Auszahlung eines ihnen zustehenden Bonus und kampierten demonstrativ in Washington DC. Die Auszahlung wurde ihnen zu diesem Zeitpunkt, Präsident Hoover war ein Vertreter strikter Austeritätspolitik[2] verweigert und der Generalstabschef Douglas MacArthur[3] sorgte für die gewaltsame Räumung dieser Protestcamps, was zu zumindest zwei toten Zivilisten, 55 Verletzen und 135 Verhaftungen führte. Diese Aktion, die auch vom als Staabsoffizer anwesendem zukünftigen Oberbefehlshaber der alliierten Truppen in Europa und späterem US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower als moralisch fragwürdig bezeichnet wurde, führte zu einem gewaltigem Aufschrei in der liberalen Öffentlichkeit[4]. Entsprechend nimmt es unschwer Wunder, dass ausgerechnet Warner Brothers, das ja auch schon Ich bin ein entflohener Kettensträfling in die Kinos gebracht hat, sich auch mit diesem Thema auseinander setzte. Und genau mit dieser Nummer gelang ihnen ein Meisterstück politischer kommerziellem Kunsthandwerks. Choreogrph Busby Berkeley war als Leutnant bei der US Army im Krieg gewesen und mehr durch Zufall nach der Demobilisierung als Choreograph am Broadway gelandet, mit der optischen Wirkung von Formationen kannte er sich aus.
Remember my Forgotten Man beginnt mit einer Straßendirne (Joan Blondell), die von einem abgerissenem Mann um Feuer für seinen ausgegangen Kippenrest gebeten wird und ihm eine eigene neue Zigarette gibt, wo bei sie ihre Gedanken über die getragene, melancholische Musik spricht, die Kamera verstärkt dieses musikwissenschaftliche Melodram, in dem sie an den Fenstern des schäbigen Wohnblockes einzelne Frauen mit verhärmten Gesichtern, denen anscheinend allen ihr Mann im Krieg abhandengekommen ist. Interessanter weise ist unter den Frauen auch eine Schwarze – wir sehen noch mehrere auf der Bühne, aber nie an anderen Orten in diesem Film, es ist die Bluessängerin Etta Moten, die jetzt den Text des Liedes wiederaufnimmt, während ein Polizist einen vor der Haustüre schlafenden Mann unsanft weckt, um ihn wegen Landstreicherei festzunehmen, doch die Dirne weißt in mit einem vernichtendem Blick darauf hin, dass der Mann einen Kriegsverdienstorden am Revers trägt. Während kurz der Jubel für die in den Krieg ziehenden Soldaten gezeigt wird, wird schnell auf die Realitäten des Krieges umgeschnitten, Regen fällt vom Himmel, Verwundete schleppen sich immer noch zum gleichen Marschrhythmus des Liedes dahin, bis plötzlich in Gegenrichtung die Kamera an einer Warteschlange vor einer öffentlichen Suppenküche vorbei zieht. Jeder, der diese Zeit der Weltwirtschaftskrise erlebt hat, kannte diese Bilder aus dem täglichen Leben. Busby Berkeley beendet diese Nummer mit einer Kamerafahrt von einer singenden Joan Blondell (die jetzt von Etta Moten gedubbt wird), die als Erlöserin ähnlich Brigitte Helms Maria in Metropolis dasteht. Nein, diese Nummer ist viel zu kräftig um sie einfach so in der Handlung zu bringen, wie ursprünglich geplant, deswegen landete sie endgültig am Ende des Films[5]. Das aber wirft die Frage auf, wie sind denn diese drei großen Nummern ursprünglich angeordnet gewesen? Zwei Nummern sind ja noch zu vergeben. Da wäre zum einen eine relativ langsame Nummer, der Shadow Waltz, in dem mit Neonröhren versetze Geigen samt Chorusgirls in weißblonden Perücken geometrische Muster bilden, während ein im weißem Frack gekleideter Dick Powell seiner Angebeteten (Ruby Keeler) ein Ständchen singt und eine peppige Nummer mit dem schönen Titel Petting in the Park, die heute das Trio der Shownummern eröffnet.
Wenn man sich die Kostüme ansieht, die von den Schauspielern getragen werden, wenn Trixie Lorraine (Aline MacMahon) Brad überzeugt, dass er nun als Einspringer auf die Bühne muss, dann reicht man ihm einen weißen Frack und Polly trägt eine weißblonde Perücke – und das spricht eindeutig für den Shadow Waltz. Das Petting in the Park die ursprünglich geplante Abschluss nummer ist, zeigen nicht nur die entsprechenden Kostüme in der Szene mit dem falschem Polizisten[6] sondern auch die Nummer selbst.
Auch diese Nummer erzählt eine kleine Geschichte, die wie ein griechischer Chorus die Handlung um die beiden tatsächlichen Hauptpersonen Carol und Lawrence humorvoll kommentiert. Ein Pärchen, Ruby Keeler und Dick Powell, verliebt sich - er folgt sogar einer entsprechenden Betriebsanleitung, verkracht sich, sie muss allein nach Hause gehen – auf Rollschuhen, denn es gibt einen entsprechenden Verleih[7], wird von Polizisten gestalkt, von Leidensgenossinnen fast über den Haufen gefahren um fürs erste erst mal aus der Nummer zu verschwinden. Busby Berkeley erzählt diese Geschichte in einem assoziativen Exkurs, die Affen auf der Gebäckschachtel neben dem verliebten Paar im Park werden zu echten sich lausenden Affen im Tierpark, die von Polizisten belacht werden, Im Park sitzen auf allen Bänken Pärchen, in allen Altersklassen, aus allen Ständen, darunter auch schwarze Teenager und Asiaten, ein Kind (Billy Barty) bläst eine Papierkugel auf die feixenden Polizisten nur um auch von diesen verfolgt zu werden um sie dann auch wieder auszutricksen, die Jahreszeiten vergehen, Wonnemonde wichen dem Wintersturm inklusive großer Schneeballschlacht zwischen Männern und Frauen, hinter einem der von den Frauen als Werkzeug für rhythmische Sportgymnastik verwendeten (Pseudoschnee)bällen kommt wieder Billy Barty zum Vorschein und stößt diesen Ball direkt auf die Kamera zu, über eine Überblendung auf Schwarz sind wir wieder im Sommer und ein entsprechen gekleideter Billy Barty fängt diesen nun auf Softballgröße geschrumpften Ball wieder auf, verliert ihn und krabbelt ihm nach, während der Ball auf die seidenstrumpfbekleideten Beine einer Frau zu rollt. Regen setzt ein und alle Frauen im Park begeben sich nun in Arkaden (zweigeschossig) um ihre nasse Kleidung zu wechseln. Billy Barty schlüpft nun in die Rolle eines kleinen Faunes, der die Najaden neckt, indem er die als Sichtschutz dienenden aber deutlichst die Silhouetten erkennen lassenden Jalousien hochzieht. Doch die Damen tragen jetzt metallene Badeanzüge während die Herren sich irgendwo (vielleicht bei der Konkurrenz[8]) Regenmäntel organisiert haben. Dick Powell ist jedenfalls überrascht, dass seine Freundin Ruby Keeler nun wieder hinter einer Bank auftaucht, doch auch sie trägt einen Kürass, durch den er nicht durchkommt, doch Billy Barty reicht ihm einen Büchsenöffner. Ende der Nummer, eigentlich auch Ende des Films. Das Paar ist wieder beieinander, jetzt ab ins Bett und in neun Monaten ist der Nachwuchs da. Busby Berkeley nimmt damit bereits seinen nächsten Film Footlight Parade mit dem Honeymoon Hotel vorweg und als heutiger Filmkenner hat man natürlich die freudianische Endeinstellung von Hitchcocks Der unsichtbare Dritte im Kopf.
Sinnigerweise war Joan Blondell von 1936 bis 1944 mit Dick Powell verheiratet
Natürlich bedient sich Busby Berkeley hier in seinem Handwerkskasten. Er hatte sich seine Chorusgirls persönlich ausgewählt und so manche hat auch schon, bevor er zu Warner kam, für ihn gearbeitet. Entsprechend wusste er genau, wen er für Nahaufnahmen verwenden konnte, für ihn waren Breitwandexperimente so nicht nötig, das Menschliche Sichtfeld ist näher am 4 zu 3 des Academy als am 2,55 zu 1 des Cinemascope, seine Kaleidoskopeffekte sind damit kaum machbar, aber eine Dreiergruppe lässt sich problemlos in Halbnaheinstellungen zeigen. Hier in diesem Film ging er an die Grenzen, was zensurtechnisch machbar war, angeblich sollen einige der Einstellungen mit den Kleidungswechseln im Regen für bestimmte, empfindliche Regionen in nicht so auffälligen Schnittfassungen den dortigen Zensoren vorgelegt worden sein.
[1] Als Stummfilm und kurz darauf eben als All Sininging, all Dancing, all Technicolor
Extravaganca Gold Diggers of Broaway.
[2] Einer der Gründe, warum er die Wahlen am Jahresende verlieren sollte, sein Gegner FDR vertrat eine diametral andere Wirtschaftspolitik, die sich an Meynard Keyes orientierte.
[3] Eine Einschätzung zu ihm befindet sich in einer Fußnote zu Torpedoboote vor Baatan, er wurde unter Präsident Roosevelt dann auf die Philippinen versetzt, wo er dann von der dortigen Regierung seinen fünften Stern für die Schulterstücke seiner Uniform bekam
[4] Abgesehen, von denen, die in dem Bonusmarch die Vorstufe einer kommunistischen Revolution sehen wollten.
[5] Angeblich existiert noch eine Szene, die bei manchen Kopien eingefügt wurde, in der das etwas unsichere Verhältnis zwischen Lawrence und Carol definitiv als verlobt geklärt wurde, aber mir ist diese, wie die „entschärften“ Varianten von Petting in the Park noch nicht in freier Wildbahn untergekommen.
[6] Anschluss Szenen, mit Chorusgirls in entsprechenden Kostümen bedeuten wenig, weil diese nach Bedarf eingeschnitten werden können, Spielszenen kosten Geld, wenn sie neu gedreht werden müssen.
[7] Und da sagen die Leute Apps seien etwas modernes ;-).
[8] Singing in the Rain stammt aus MGMs Hollywood Revue von 1929, Warner versuchte mit einem Sining in the Bathtub entgegen zu halten.
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