(USA 1930)
Zum Jahreswechsel 1929/30 stand RKO mit einem gewaltigen Kassenerfolg da und niemand wusste eigentlich ganz genau, wie man das eigentlich geschafft hatten. Rio Rita war der erster komplett selbstproduzierter Film dieses Studios überhaupt, und der war unter abenteuerlichen Bedingungen in kürzester Zeit abgedreht worden. Was sprach dagegen, noch einmal eine Broadwayshow auf die große Leinwand zu bringen? Gut, so viele waren nicht mehr auf dem Markt, nachdem auch die anderen Studios dies als eine Möglichkeit zur Erzeugung von Zuschauerströmen in die Kinos erkannt und Hollywood die vorhandenen Bühnenstars relativ schnell unter Vertrag genommen hatten, aber Libretti von Operetten können mit ein wenig Gehirnschmalz auch an neue Besetzungen angepasst werden. RKO erwarb also die Rechte an einem Broadway Hit der 1926/27 Saison The Ramblers, wo allerdings die Originalbesetzung bereits bei Fox unter Vertrag waren[1]. Da aber der Librettist Harry Ruby auch bei diesem Film für das Buch verantwortlich zeigte, blieb der Operettenhafte Bühnenirrsinn auf der Leinwand erhalten. Im Gegensatz zu Rio Rita standen hier aber wirklich die beiden Komiker im Zentrum der Handlung, das Romantische Paar, dessen mühsamen Weg zu Happyend sie mit ihrer Komik freiräumen müssen, spielt, auch wenn sie den langfristig erfolgreichsten Song hat, nur die zweite Geige.
Cuckoo heißt im Englischen nicht nur Kuckuck, sondern bezeichnet auch jemanden, der einen leichten Vogel hat, und dass der Film nicht ganz so ernst zu nehmen ist, merkt man bereits im ersten Akt, als der Plot mit Stereotypen um sich wirft. Harry Ruby war ein enger Freund von Groucho Marx, und so einige Textzeilen, die er Robert Woolsey in den Mund legt, könnten auch von Groucho Marx kommen[2]. Es braucht einen nicht zu wundern, dass da in einem mexikanischem Ferienort europäische Adelige (böse), Sinti und Roma[3] (ebenso böse) Ostküsten Geldadel (gut – aber verführbar), Mittelstand (gut) und falsche Akademiker (chaotisch gut) auf einander treffen.
Die Tochter aus reichem Haus (June Clyde) soll des Adelstitels wegen einen echten Adeligen (Ivan Lebedeff) heiraten, hat aber darauf keine Lust, weil sie einen Piloten (Hugh Trevor) liebt[4]. Der Adelige weiß, dass er seine Unwillige von den Zigeunern entführen lassen muss, bloß der Zigeuner hat sein Auge auf ein Findelkind seiner Sippe geworfen, die sich gerade in den Assistenten eines falschen Wahrsagers verliebt hat. Womit wir bei den Stars wären. Die Namen Wheeler and Woolsey, auch wenn das erst ihr zweiter Film war, waren dank der Presse, dem Publikum bekannt und dies wusste ziemlich genau, was es im Film zu erwarten hatte, und, so viel sei verraten, es wurde nicht enttäuscht. Bereits die Szene, in der Professor Cunnigham (Robert Woolsey) seinem verliebten Assistenten Sparrow (Bert Wheeler) erklärt, warum er besser nichts mit der kleinen Anita (Dorothy Lee) anfängt, ist ein Meisterwerk des Timings und des Settings. Die Diskussion findet auf der Rückseite einer Wurfmesserzielscheibe statt, wo eben der Zigeuner Julius (Mitchell Lewis) dem Objekt seiner Zuneigung – Anita – demonstriert, wohin er am liebsten mit dem Messer werfen würde, würde dort eben sein Widersacher stehen. Die der Erkennung folgende Flucht endet dann an einem bereits besetzten Tisch, wo man sich mit ein wenig Hochstapelei und Halbwissen in ein parodistisches Couplet flüchtet, was zu einer Parodie auf Collegesongs und studentische
Realinjurien wird[5], bevor die Szene endgültig für den Geldadel geräumt wird. Im Laufe des ersten Aktes verliebt sich die reiche Tante (Jobyna Howland[6]) in den Professor, was aufgrund der Größendifferenz der beiden automatisch zu Komik führte, sie war gute 30 Zentimeter größer als er. Doch während sie sich gerne von ihm bezirzen lässt, entführen die Zigeuner die Tochter. Und da Julius auf Anita nicht verzichten möchte, muss die auch mit. Der erste Akt endet in einer großen, die Handlung stoppenden Technicolornummer, wo sich alle entscheiden, den Entführern zu folgen. Und im nächsten Akt haben dann Professor Cunningham und Sparrow Erfolg, sie finden das Zigeunerlager nahe einer Hazienda und können dort erst mal Anita, die nach einem erschöpfenden, teufelsaustreibenden Technicolortanz sich unter einem Apfelbaum von dem über sie gesprochenem Urteil erst mal erholen muss und sich dann erwartungsgemäß zusammen mit Sparrow den Bauch mit Äpfeln vollschlägt – auch so kann man ein Liebesduett auf die Leinwand bringen[7]. Nebenbei erfährt man von ihr aber noch, wo denn das Entführungsopfer untergebracht worden ist. Beim Versuch unauffällig in ihre Nähe zu gelangen, schlagen die Drehbuchautoren mal wieder tief in der Genrevesatzstücklagerkiste nach. Die Hazienda samt Gästehaus ist eher ein Spukschloss aus einem Horrorfilm. Geheimtüren,
verschwindende Betten, seltsame Gäste, leere Nachthemden und, man muss ja noch Ressentiments gegen Asiaten unterbringen, ein Chinese mit einer Machete, der die Haut der Helden am Halse ganz genau begutachtet. Dass die Flucht dann trotz mehrfachen komischen Scheiterns, dann doch gelingt, wurde sehr lange aufgebaut, und dann doch nur für einen ganz kurzen Gag verbraten zu werden. Als Professor Cunningham am Tisch seinen Assistenten den beiden dort sitzenden Damen vorstellt, erklärt er, dass dieser eigentlich Tischler gewesen sei, was man auch als kurze Referenz an Shakespeares Sommernachtstraum verstehen kann (der ängstliche Handwerker, der den Löwen spielt, ist Tischler), doch hier hat am Ende vermutlich ein andere Handwerker (ein Mexikaner – nur um die Vorurteile weiter zu spinnen) gepfuscht, und die Kiste mit der die beiden entsorgt werden sollen, verliert ihren Boden. Nun, am Ende schafft der Pilot es noch alle Beteiligten rechtzeitig zu großen Technicolor-Finale wieder in das Hotel zu fliegen, auch wenn am Ende nicht klar ist, wer für die Bruchlandung nun wirklich verantwortlich zeigte, aber jede Landung, von der man weggehen kann, ist eine gute Landung. Und dafür braucht man keinen Busby Berkeley.
Auch wenn der Film über Jahrzehnte nur ohne das Technicolormaterial zu sehen war, bleibt er wegen der Hauptdarsteller und der Musik sehenswert – All Alone Monday ist der große Hit aus dieser Produktion, der auch heute noch im Repertoire des Great American Song Book zu finden ist, allerdings ist die Schauspielerin June Clyde heute nur noch Spezialisten ein Begriff, und ihr Partner Hugh Trevor zog sich bereits im folgendem Jahr aus dem Schauspielgeschäft zurück und eröffnete, das Geld und die mathematischen Fähigkeiten dazu hatte er, eine Versicherungsgesellschaft für Schauspieler. Leider erlag er 1933 den Folgen einer Blinddarmentzündung.
[1] Clark und MacCullough sollten dann sinnigerweise für eine Reihe von Kurzfilmen zu RKO wechseln, wo Wheeler and Woolsey bis 1937 aber die Kassenstars im Bereich Comedyteams waren.
[2] Zu seinen weiteren Drehbüchern zählten auch Animal Crackers, Horse Feathers, Dipolmaniacs, Hips, Hips, Hooray, Duck Soup, Die Marx Brothers in der Oper und The Kid from Spain, also ein halbes Who-is-Who der amerikanischen Zwischenkriegs Filmcomedy.
[3] auch wenn hier eher, um die Fiktionalität des Plottes und die Verwendeten Stereotypen ala Bizets Carmen und The Unknown vielleicht wirklich von Zigeuner gesprochen werden sollte.
[4] Das Flugzeug mit einer Zivilzulassung ist echt, ein Schwesterexemplar sollte von Australien nach Neuseeland fliegen, verschwand aber nach 12 Stunden Flug spurlos über des Tasmanischen See. Merian C. Cooper (The Most Dangerous Game)war damals noch nicht Studiochef von RKO, dem man Stoffe besser mit Flugzeugen verkaufen konnte, wie sich 1934 mit dem ersten Astaire-Rodgers Film Flying Down to Rio herausstellen sollte.
[5] Wenn sich noch jemand an Monty Phytons Fish-Slapping Dance erinnert – das dürfte der Ursprung sein.
[6] Sie wirkte in noch zwei weiteren Filmen mit Wheeler and Woolsey mit Hook Line and Sinker und Dixiana mit, sowie in Honey und der Faulknerverfilmung The Story of Temple Drake.
[7] Ein ähnlicher Ansatz findet sich auch noch in Hips, Hips, Hooray – mehrfach.
IMDB Link: https://www.imdb.com/title/tt0020799/reference Der Film auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=0dMEUCqN5uI
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