(USA 1934)
„Über den Gebrauch von Spiegeln beim Schachspiel“ heißt ein fiktives Buch, dass Umberto Eco im Vorwort zu seinem Roman Der Name der Rose beiläufig erwähnt, aber über den Gebrauch von Spiegeln beim Drehen eines Filmes gibt es genügend reale Artikel, Aufsätze und Monographien, denn mit Spiegeln kann man so wunderbar Realitäten verstecken, Eugen Schüfftan war da ein Meister. Doch ein Problem der Spiegel konnte auch er nicht verstecken, es gibt Punkte, wo die Kamera im Spiegel sichtbar ist. Doch in diesem Film geht es nicht um Spiegel, sondern um das Vorspiegeln. 1934 hatte Warner Brothers mehrere heiße Eisen im Feuer, die Musicals 42nd Street, Gold Diggers of 1933 und Footlight Parade im letzten Jahr hatten einen sensationellen Erfolg an der Kinokasse, warum sollte man nicht erneut auf die Kreativität des Choreographen Busby Berkeley setzten. Bei den Schauspielern setzte man diesmal aber auf ein wenig Abwechslung, genauso wie beim Stoff. Normalerweise verwendete man bei Warner einen Tenor und eine Tänzerin als das romantische Pärchen, doch der Stoff, ein Theaterstück ungarisch-Wiener Herkunft, das 1931 für Al Jolson adaptiert worden und am Broadway ein großer Erfolg war. Al Jolson war nun einmal mit der Tänzerin Ruby Keeler verheiratet, die eben der Tanzstar für die Erfolgsmusicals der letzten Zeit gewesen war, und die konnte man für dieses Stück diesmal nicht gebrauchen[1]. Statt ihrer brauchte man eine Schauspielerin, die eine heißblütige Latina (nicht das einzige rassistische Stereotyp in diesem Film) spielen konnte. Für die Besetzung dieser Rolle griff man auf Dolores Del Rio[2] zurück, die in den 1940ern einmal mit Orson Welles verheiratet seien sollte, der das Publikum es problemlos abnahm, dass sie ihren Tanzpartner und Freund, als dieser sie wegen einer anderen verlässt, einfach im Zorn auf offener Bühne ersticht. Zum Glück ist dieser, gespielt von Ricardo Cortez[3] professionell genug, sich auf der Bühne nichts anmerken zu lassen und erst in seiner Garderobe das Leben auszuhauchen. Immerhin hat jetzt der Tenor Dick Powell, der Tenor aus den oben genannten Musicals[4], eine Chance mit dem Objekt seines Begehrens. Al Jolson spielt den Besitzer und Conferencier dieses Nachtclubs, in dem sich auch noch andere Geschichten kreuzen, und wie es sich für einen Al Jolson Film gehört, gab es natürlich auch eine Blackface-Nummer. Und hier übertreffen sich Ausstatter, Star und Choreograph in Camp, Selbstreferenz, rassistischen Stereotypen, schlechten Geschmack und Absurdität. Und, um Mel Brooks Frühling für Hitler zu zitieren, man liebt jede Sekunde davon. Die Leiche des Tänzers liegt in der Garderobe und auf der Bühne singt Al Jolson in Blackface davon, wie es als Schwarzer ist, in einen Himmel für Schwarze zu kommen. Plessy v. Ferguson in Reinkultur. Jedes Stereotyp wird übererfüllt, Trunkenheit, Melonen, Glücksspiel, Brathendl, Maultiere und als Krönung, Al Jolson war das Kind von Einwanderern aus Russisch-Polen, die vor antisemitischen Pogromen geflohen waren, liest beim Barbier eine jiddische Tageszeitung.
Diese Nummer macht heute aus verständlichen Gründen Probleme mit den modernen Zensoren[5], damals, als der Film in die Kinos kam, gab es deswegen keine Probleme. Die bereitete ein völlig andere Stelle, an der „urbane Dekadenz“ geschildert wurde. Auf der normalen Tanzfläche des Nachtclubs, fragt ein einzelner vornehm gekleideter Herr mit einer simplen Geste ein tanzendes Paar, ob auch er einmal tanzen könne, die Dame gestattet es ihm und steht dann ohne Tanzpartner allein auf der Tanzfläche, als die beiden Herren miteinander davontanzen. „Jungen eben“ kommentiert Al Jolson diese Szene, und diese sexuelle Abweichung von der üblichen Norm führte zu einer Schnittauflage seitens des Hayes-Office.
Aber was hat das alles mit Spiegeln zu tun? Gemach, Gemach. Eine von den ganz großen Busby Berkeley Nummern „Why Can't this go on for ever?“ ist ein Spiel mit Spiegeln und dem Verschwinden von Spiegelbildern. Ein paar Chorusgirls werden durch den Einsatz von Spiegeln immer mehr, um dann plötzlich wieder zu verschwinden, das Spiel wiederholt sich mit Tänzern und gewaltigen weißen dorischen Säulen, die dann dank Spiegeln zu einem unendlichen Ballsaal werden, wo dann 8 Paare zu einer unüberschaubaren Menge werden. Die Säulen werden zu Bäumen, Masken zu Blättern, und zwei Masken entpuppen sich als beiden Stars, für die Unendlichkeit der Liebe bereits wenige Minuten später final beendet seien sollte. Ach ja, es ist eine Busby Berkeley Nummer, natürlich wird das einzelne Chorusgirl auch trotz der Masse nicht entindividualisiert. Und Busby Berkeley geht mit seinen Kostümen, um dem Zuschauer die Spiegelung bewusst zu machen, an die Grenzen dessen, was die Zensoren damals noch zu gelassen haben, im Film direkt davor Liebe ohne Zwirn und Faden, wo er nur eine einzige Nummer beisteuerte, war sogar diese Grenze noch liberaler ausgelegt worden, bevor sie dann für Jahre sehr viel enger gesetzt wurde – man denke an die Beschreibung einer völlig anderen Szene in Zum Tanzen geboren, womit man wieder bei der Schnittauflage des Hayes-Office wäre.
[1] Das Ehepaar Jolson und Keeler sollte im nächsten Jahr gemeinsam in Go into Your Dance vor der Kamera stehen.
[2] Auch bekannt aus Luana, Flying Down to Rio und Von Agenten gejagt sowie Cheyenne von John Ford.
[3] Bekannt unter anderem aus der Erstverfilmung des Malteser Falken.
[4] Er war ein äußerst lange vielbeschäftigter Mann in Hollywood, man denke nur an Es geschah Morgen und Murder My Sweet, bis er einem Kernwaffentest zum Opfer fiel.
[5] Die es überhaupt nicht verstehen, dass sie als Gatekeeper, die den Shitstorm von ihren Auftraggebern fernhalten sollen, als solche bezeichnet werden. Sie wollen ja doch nur das gute, eine bessere Welt, aber wollte das nicht auch Breen für das Hayes-Office? Die schlimmste Schere ist die im eigenen Kopf.
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